Vor Gericht gerät Volkswagen im Abgasskandal zunehmend unter Druck: Erst vor kurzem hatte das Oberlandesgericht Oldenburg erstmalig entschieden, dass einem Kläger Schadensersatz auch bei Kauf nach Kenntnis zustehe. Nun legt das Landgericht Hannover nach und bezeichnete das kostenlose Software-Update des Autobauers als Täuschungsmanöver mit Gewinnabsicht. Auch eine mögliche Unkenntnis des VW-Vorstandes ändere nichts an dem zugrundeliegenden Tatbestand der sittenwidrigen Täuschung. Die spektakuläre Urteilsbegründung dürfte noch für viele weitere Betroffene im Abgasskandal relevant werden.
Kostenloses Software-Update ändert nichts am Tatbestand
Das Landgericht Hannover verurteilte den Volkswagen-Konzern zur Rücknahme eines VW Caddy 2.0l TDI (Urteil vom 09.01.2020, Az. 5 O 209/18). Das schädigende Verhalten liege in der Entwicklung der manipulativen Motorsteuerungssoftware, der Täuschung der Zulassungsbehörde zur Erlangung der Typengenehmigung und dem unzulässigen Inverkehrbringen des mangelhaften Fahrzeuges. Somit sei dem Kläger bereits in dem Abschluss des ungewollten Kaufvertrages ein Schaden entstanden. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass an seinem Fahrzeug kostenlos ein Softwareupdate durchgeführt wurde, heißt es im Urteil.
Volkswagen hat aufgrund von Profitstreben absichtlich getäuscht
Ohne die planmäßige Verschleierung des Schadstoffausstoßes durch die Manipulationssoftware hätten die betroffenen Fahrzeuge keine Zulassung erhalten und wären unverkäuflich gewesen. Die Entwicklung und das Inverkehrbringen der Software diene dem Zweck, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen und dadurch die Unternehmensgewinne in nicht unerheblichem Maße zu steigern. Folgender Passus aus der Urteilsbegründung stellt eine besonders deutliche Rüge dar:
"Die erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie die Erschütterung des Vertrauens der Kunden in die Dieseltechnologie mit allen jetzt eintretenden wirtschaftlichen Folgen hat die Beklagte [Volkswagen] nicht von ihrem Profitstreben abgehalten, was auf eine Gesinnung schließen lässt, die moralisch auf unterster Stufe steht."
Wusste der VW-Vorstand von den Abgas-Manipulationen?
Der während des Verfahrens vorgebrachte Einwand der VW AG, der Vorstand habe keine Kenntnis gehabt, sei nicht glaubwürdig. Abgesehen davon sei die Annahme, dass das Wissen den Vorstand nicht erreicht haben soll, "lebensfremd". Volkswagen habe das Profitstreben über das Vertrauen der Kunden gestellt. „Dieses Urteil ist ein deutlicher Fortschritt für den Verbraucherschutz in Deutschland! Es bestätigt die Tendenz in der Rechtsprechung sich nun entschiedener auf die Seite des Verbrauchers zu stellen,“ sagt der Rechtsanwalt Prof. Marco Rogert, welcher den Kläger in Hannover vertrat.
„Die Zeit läuft ab sofort gegen Volkwagen“ schreibt die FAZ
In einem bislang unveröffentlichten Hinweisbeschluss, welcher der FAZ vorliegt, hinterfragt das Oberlandesgericht Hamburg aktuell auch die bisherige Regelung der Nutzungsentschädigung im Diesel-Abgasskandal. Indem die Rückabwicklung der manipulierten Fahrzeuge durch VW verweigert wird, seien die betroffenen Kunden regelrecht gezwungen, Gerichtsprozesse zu führen, während sie das Fahrzeug weiter nutzen. Darum sollten die Geschädigten nur für den Zeitraum eine Nutzungsentschädigung zahlen müssen, bis diese durch den Autobauer zur Rückabwicklung aufgefordert wurden. „Wenn sich die verbraucherfreundliche Sichtweise der Gerichte in Hannover, Hamburg und Oldenburg durchsetzt, läuft die Zeit ab sofort wirklich gegen Volkswagen,“ kommentiert Prof. Rogert, welcher gemeinsam mit dem Bundesverband Verbraucherzentrale und weiteren Anwälten im Rahmen der VW-Musterfeststellungsklage die Rechte von rund 400.000 getäuschten Autokäufern im Abgasskandal vertritt.