Das Landgericht und das Oberlandesgericht Braunschweig sind im VW-Abgasskandal bislang nicht durch verbraucherfreundliche Urteile aufgefallen, wenngleich das Landgericht Braunschweig kürzlich die Abkehr von seiner Pro-VW-Haltung angekündigt hat. Zwei geschädigte VW-Kunden haben sich von der Ablehnung ihrer Schadensersatzansprüche durch die beiden Gerichte gegen den Autokonzern nicht entmutigen lassen. Ihre Fälle stehen nun am 21. Juli zur Revision beim 6. Zivilsenat des BGH an.
Beide Kläger begründen ihre Ansprüche gegen Volkswagen mit dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen. In einem Fall hatte der Kläger ein von VW angebotenes Software-Update aufspielen lassen (Az. VI ZR 367/19). Seine Klage wurde mit der Begründung abgewiesen, dass die Abschalteinrichtung bereits vor Eingang der Klage durch das Update beseitigt worden sei. Außerdem habe der Kläger nicht schlüssig dargelegt, welche konkrete Person bei VW ihn vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe (13.08.2019, Az. 7 U 352/18).
Der andere Kläger hatte das Update verweigert, woraufhin ihm der Betrieb des Fahrzeugs untersagt wurde (Az. VI ZR 354/19). Seinen Schadensersatzanspruch hat das OLG Braunschweig mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Betrugstatbestand nicht erfüllt sei. Im Übrigen überwiege der Nutzungsausgleich mittlerweile den Kaufpreis (20.08.2019, Az. 7 U 5/18).
Wann konnten Käufer von VW-Dieseln von den illegalen Abgasmanipulationen Kenntnis haben? Von der Antwort auf diese hochbrisante Frage hängt ab, wann die Ansprüche geschädigter VW-Kunden verjähren – ein Thema das zigtausende Autokäufer betrifft. Eine höchstrichterliche Entscheidung dazu steht noch aus. Vielleicht kommt sie am 28. Juli. Dann geht es vor dem BGH um die Schadensersatzansprüche eines Gebrauchtwagenkäufers, der seinen Diesel im August 2016 erworben hat, also fast ein Jahr nach Bekanntwerden der Abgasmanipulationen (Az. VI ZR 5/20). Seine Entschädigungsforderungen wurden von beiden Vorinstanzen abgewiesen (Landgericht Trier, 03.05.2019, Az. 5 O 686/18, OLG Koblenz, 02.12.2019, Az. 12 U 804/19), weil „der Kläger nicht substantiiert dargelegt habe, weshalb ihm trotz der ausführlichen Medienberichterstattung … verborgen geblieben sein solle, dass das Fahrzeug mit der unzulässigen Umschaltlogik ausgestattet gewesen sei.“
Einem Dieselkäufer, der seinen VW im Januar 2016 erworben hatte, hat das OLG Koblenz allerdings Recht gegeben und ihm wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung Schadensersatz zugesprochen (05.06.2020, Az. 8 U 1295/19). Die Begründung: Aus einer Ad-hoc-Mitteilung, die Volkswagen im September 2015 veröffentlicht hat, sei nicht hervorgegangen, dass die Motorsteuerungssoftware bewusst manipuliert worden sei. Überdies habe das sittenwidrige Verhalten von Volkswagen auch zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs noch fortgedauert. Ähnlich haben u.a. die Oberlandesgerichte Köln, Oldenburg und Hamm sowie das Landgericht Paderborn und zuletzt Frankfurt am Main geurteilt. Das Amtsgericht Marburg vertritt sogar die Ansicht, dass der Schadensersatzanspruch von Geschädigten erst nach 10 Jahren verjähren soll.
Im zweiten BGH-Verfahren am 28. Juli geht es um den Anspruch auf deliktische Zinsen (Az. VI ZR 397/19). Das Landgericht Oldenburg hatte Volkswagen wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung bereits zur Erstattung des Kaufpreises für einen VW Golf VI 1,6 TDI abzüglich Nutzungsentschädigung verurteilt (11.01.2019, Az. 3 O 1275/18). Gegen den Abzug der Nutzungsentschädigung hatte die Klägerin Berufung eingelegt und außerdem die Zahlung deliktischer Zinsen gefordert. Diese hatte das OLG Oldenburg ihr zwar zugesprochen, allerdings haben die Richter die Entscheidung der Vorinstanz zur Nutzungsentschädigung bestätigt (02.10.2019, Az. 5 U 47/19). Gegen dieses Urteil haben sowohl die Klägerin als auch Volkswagen Revision eingelegt.
Dr. Marco Rogert
Rechtsanwalt / Wirtschaftsjurist
E-Mail: office@ru-law.de
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Auch in der Frage der Nutzungsentschädigung könnte es noch einmal spannend werden. Zwar hat der BGH bereits im VW-Verfahren im Mai entschieden, dass vom Schadensersatz Nutzungsentschädigung für die bereits gefahrenen Kilometer abzuziehen ist, doch auch hier gibt es Anzeichen für eine Trendwende in der Rechtsprechung. Etliche Landgerichte haben Autokäufern Schadensersatz ohne Abzug von Nutzungsentschädigungen zugesprochen. Das Landgericht Frankfurt am Main hat das ausdrücklich mit dem „besonders verwerflichen Vorgehen“ von Volkswagen begründet (30.04.2020, Az. 2-27 O 2/19).
Ähnlich begründete ein Richter am Landgericht Erfurt seinen Beschluss, das VW-Urteil des BGH vom 25. Mai (Az. VI ZR 252/19) durch den Europäischen Gerichtshof auf europarechtliche Konformität überprüfen zu lassen (15.06.2020, Az. 8 O 1045/18): Ein Nutzungsausgleich für gefahrene Kilometer bedeute, dass „VW umso weniger Sanktionen zu befürchten habe, je länger sich der Rechtsstreit hinziehe. Mithin könnte ein starker Anreiz entstehen, die Rechtsverletzung gleichwohl zu begehen und die Anspruchserfüllung ungehörig zu verzögern.“ Vor diesem Hintergrund ist es hochspannend, wie der BGH in dieser Frage am 28. Juni entscheiden wird.
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